Hochschule Anhalt, Dessau, Geschichte Theorie Methoden SS 2019: OrdnungArbeiten Studierender
Ausgangspunkt der Vorlesungsreihe und der Analyseaufgaben von Geschichte Theorie Methoden im SS 2019 war der Artikel „Zur sozialen Symbolik der Säulenordnung“ von Christof Thoenes aus dem Jahr 1972. Der Artikel ist geschrieben unter dem Eindruck des 68er Streits zwischen „linken“ Kunstgeschichtlern und deren historisch-materialistischen Forschungsansatz und „konservativen“ Kunstwissenschaftlern und deren formgeschichtlicher Analysemethode. Thoenes lotet aus, inwieweit historisch-gesellschaftliche Forschung und architektonische Formgeschichte in einen Zusammenhang gebracht werden können. Es geht also um die Frage, inwieweit die architektonische Form als Ausdruckssystem für politisch-gesellschaftliche Vorstellungen dient bzw. gelesen werden kann oder allgemeiner formuliert: können mit der architektonischen Form geistige Inhalte ausgedrückt werden? Erörtert wird die Fragestellung anhand verschiedener Möglichkeiten der Kombination von zwei grundsätzlichen architektonischen Fügungsprinzipien: der klassischen Säulen-Gebälkstellung (Kolonnade) und der im antiken Rom ausformulierten Pfeiler-Bogen-Stellung (Arkade). Neben der in der römischen Architektur üblich gewordenen Kombinationsform des „Tabularium-Motivs“, welches von Alberti wieder aufgenommen wird, lassen sich drei weitere Verbindungen von Mauerbogen und Säulentektonik feststellen, die allesamt in der Renaissance entstehen: Säulenarkade mit dazwischengeschobenen Gebälkstücken (Brunelleschi), „Serliana“ (Bramante) sowie die von Thoenes definierte Doppelordnung (Masaccio und andere). Die in Florenz und Rom gebauten cortile der Renaissance-Palazzi stellen ein hervorragendes Ausgangsmaterial zur genauen Analyse der grammatikalischen Feinheiten der jeweiligen Kombinationsformen aus Arkade und Kolonnade dar. Neben dem Kennenlernen der architektonischen Formensprache mit ihrer grammatikalischen Struktur standen die ambivalenten Bedeutungen spezifischer Bauteile (als den Elementen der Sprache) im Fokus der Untersuchungen: Säule, Bogen; Pilaster, Lisene; Kapitell, Kämpfer; Verkröpfung, Aufkröpfung; Triglyphenfries, Bogenfries; Konsole, Schlussstein; Architrav, faszierte Archivolte verändern ihre Bedeutung und Lesbarkeit je nach dem Kontext, innerhalb dessen sie gebraucht werden. Die cortile der Analysebeispiele wurden 3D modelliert, um ein genaues Kennenlernen zu erreichen. Im Vordergrund stand dabei weniger die maßliche als vielmehr die qualitative Genauigkeit. Einige Beispiele wie San Lorenzo oder Santo Spirito von Brunelleschi mussten in die Form des cortile transformiert werden, ebenso zum Beispiel das von Masaccio in seinem Trinitätsfresko lediglich gemalte Prinzip der Doppelordnung.